Felix Denk, Sven von Thülen – Der Klang der Familie (Suhrkamp Verlag – 2012)

Man spricht viel über die Rolle Berlins in der Wende und beim Mauerfall. Als Hauptstadt Deutschlands ist es touristisch bestimmt ein interessantes Ziel, aber das ist nicht der Hauptgrund, warum die Spreemetropole auch kulturell eine besondere Stellung einnimmt. Für die progressive Jugend der Welt bedeutet Berlin in erster Linie Tresor oder Berghain – die Stadt, die nimmer schläft, ist ein Inbegriff der hedonistischer Lebensweise rund um Party und Beat.

Gesprächsrunde zur Techno-Geschichte
Wie es dazu gekommen ist beschreiben Felix Denk und Sven von Thülen mit Hilfe der Szene-Insider im Buch “Der Klang der Familie”. Viele Bestandteile der neuesten deutschen Geschichte sind da: die DDR, die Mauer, die Wende, aber es geht in erster Linie um eine Szene, die sich im Gange der politischen Umwälzungen entfaltet hatte.
Das aus Interviews zusammengebaute Buch ist wie eine riesige Gesprächsrunde, wobei eine bunte Mischung von Ex-Punks, Poppers, Schwulen, EBM-Leute und Techno-Helden zu Wort kommt. Eigentlich alle die Rang und Namen hatten: von dem härteren Flügel Tanith und Alec Empire, dann Party-Motoren Wolle XDP und Dr. Motte, aber auch VIVA-Lieblinge Westbam und Marusha. Man bekommt ein Gefühl wirklich mittendrin zu sein und das macht das Ganze gut lesbar.

Weihnachtsgefühl im Hard Wax 
Als Vinyl-Liebhaber habe ich sehr das Kapitel über die Anfänge von Hard Wax genossen.  Zum Beispiel, wie Mark Ernestus Ende 1990 in den USA war:
Mark kam mit einem Dutzend riesiger Kisten voller Platten zurück, die er in irgendwelchen Kellern  gefunden hatte. Da musste man natürlich dabei sein, als die aufgemacht wurden. Das war wie Weihnachten. (Vainqueur, S. 121).
Spannend ist auch die Entstehungsgeschichte Tresor-Clubs – die ehemaligen Bankräume waren wie ein archäologischer Befund, der nach viel Mühe und Sorgen das Epizentrum der Szene wurde, obwohl es sicherheitstechnisch nicht ganz Weltklasse war.

Eine transatlantische Verbindung
Interessant ist der Brückenbau zwischen Berlin und Detroit, wobei viele Detroit-Produzenten wie Robert Hood, Burden Brothers, Mad Mike und Jeff Mills zu Wort kommen. Auf der Entdeckungsreise haben die Amerikaner konstatiert, dass die UR-Platte “Punisher” eigentlich wie für den Tresor geschrieben worden war und Burden-Brothers fanden die Stadt wie Detroit, mit dem Unterschied, dass in Berlin Deutsch gesprochen wurde. Sonst war alles so grau, industriell und depressiv wie in der Motor City.

Kontroversen um die Familienhymne
Wir ihr weisst, steht hinter dem Titel “Der Klang der Familie” auch ein wegweisender Track von Dr Motte und 3 Phase (Sven Röhrig). Der Kapitel über die Platte berichtet von einem Zwist zwischen den beiden Produzenten, denn als Loveparade-Gründer war Motte schon ein Szenepromi und Tresor hat auf den Promos seinen Namen gross geschrieben. Röhrig hat sich als vernachlässigt empfunden, da er danach keine DJ-Gigs bekam und dieses Gefühl wurde stärker nach dem mittelmässigen Erfolg seines Longplayers “Schlangenfarm”, ebenfalls auf Tresor releast. Die Geschichte wurde noch bunter als Derrick May, begeistert von dem Track, die Platte auf einer Party schlicht in die Tasche gesteckt und einige Zeit später auf Transmat rausgebracht hatte.

Für Berlin-Insider bedeutet “Der Klang der Familie” wohl einen nostalgischen Rückblick in die jungen Jahren von Techno – und vereinzelte Einsprüche wie “nö, das war richtig nicht so!” auftauchen lässt. Für diejenige, die von der Szene nur durch die Musik und Mags wie Frontpage eine Vorstellung hatten, ist das Buch eine interessante Reise zwischen schon legendären Leute und Orte. Sehr empfehlenswert.

Auf der Suche nach dem Track zum Buch wird man schnell fündig :

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